Buchtipp – Der Bürger als Präsident

erschienen in der WLZ am 14.10.2014

Die „Mütter und Väter“ des Bonner Grundgesetzes statteten das Amt des Bundespräsidenten nicht mit besonderen Machtbefugnissen aus, denn in der Weimarer Republik waren die Befugnisse des Reichspräsidenten allzu oft missbraucht worden. Theodor Heuss (1884-1963), der 1949 als erster zum Bundespräsidenten gewählt wurde, war nach allgemeiner Einschätzung ein „Glücksfall“ für die junge Demokratie im Nachkriegsdeutschland.

Peter Merseburger, langjähriger Fernsehjournalist, hat nach Biographien zu Kurt Schumacher und Willy Brandt nun eine auf einer immensen Materialfülle basierende, flüssige, gut lesbare und mit Pointen bestückte Biographie zu Theodor Heuss vorgelegt, die sich zugleich wie ein Who’s who bedeutender Persönlichkeiten und Gelehrter in Kunst und Wissenschaft in der Vor- und Nachkriegszeit liest.
Chronologisch werden alle Stationen seines publizistischen und politischen Lebens – vom wilhelminischen Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS-Diktatur bis zur jungen Bundesrepublik – dargestellt.
Verwurzelt im südwestdeutschen Liberalismus, war Heuss nach seiner Promotion in Nationalökonomie als Publizist und Dozent an der Politischen Hochschule in Berlin tätig und hatte eine Zeit lang bis 1933 ein Mandat als Reichstagsabgeordneter inne. Trotz frühzeitiger kritischer Kommentare zur erstarkenden NS-Bewegung konnte er sich einem direkten Zugriff durch die NS-Schergen entziehen. Dass er im März 1933 dem Druck der Verhältnisse nicht standhielt und mit den Liberalen im Reichstag für Hitlers Ermächtigungsgesetz stimmte, wurde für ihn nach Kriegsende zur inneren Verpflichtung sich für demokratische Rechte einzusetzen.
So legte er im Nachkriegsdeutschland mit an vorderster Stelle im Parlamentarischen Rat die demokratischen Fundamente der neuen Bundesrepublik.
Heuss‘ Bonmot „Der Präsident füllt ein Paragraphengespinst“ aufgreifend, schildert Merseburger facettenreich und beispielhaft, wie es Heuss mit seinem unprätentiösen, schwäbischen, auf Integration und Versöhnung ausgerichteten Naturell gelang, dass sich die Bevölkerung mit ihm, den sie als moralische Autorität gegen das Vergessen anerkannte, in hohem Maße identifizieren konnte und er zum Gelingen des demokratischen Neubeginns einen wichtigen Beitrag leistete. So findet die banale These, dass Adenauer der geborene Bundeskanzler und Heuss der geborene Bundespräsident für die Neugründung der Republik gewesen seien, bei Merseburger ihre Bestätigung.

Anne Rüter

Peter Merseburger, Theodor Heuss, Der Bürger als Präsident, Biographie,
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2. Aufl. 2013, 29,99 €.

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