Buchtipp – Im Frühling sterben

erschienen in der WLZ am 14.10.2015

Starke Bilder in poetischer Wortwahl – das ist es, was man bei Ralf Rothmann schätzt. In seinem neuesten Werk „Im Frühling sterben“ übertrifft er sich selbst, wenn er voller Poesie und dennoch unnachahmlich eindringlich von den letzten Wochen des 2. Weltkriegs und dem beginnenden, fragilen Frieden berichtet.

1945, gegen Ende des 2. Weltkriegs, leben in Norddeutschland die beiden Melker Walter und Fiete, beide 17 Jahre alt. Ihr Leben ist hart und einfach, aber auch fast schon idyllisch, sind sie doch mehr oder weniger unberührt von den Ausmaßen des Krieges. Und da sind ja auch noch Elisabeth und Ortrud, ihre „Mädchen.“ In dieses einfache, aber sichere und behütete Leben platzt ein Dorftanz hinein, ausgerichtet vom Reichsnährstand, bei dem nach einer kurzen Weile des Amüsements deutlich wird, welcher Zweck verfolgt wird: Die jungen Männer werden gezwungen, sich freiwillig zur Waffen-SS zu melden und in den bereits verlorenen Krieg zu ziehen. So nimmt die Jugend von Walter und Fiete ein jähes Ende, als sie sich zunächst gemeinsam in der Wehrmachtsausbildung wiederfinden und später getrennt werden. Walter landet als Fahrer bei der Versorgungseinheit der Waffen-SS, Fiete wird an die Front geschickt.
Beide lernen die Schrecknisse des Krieges kennen, bevor sie sich in Ungarn wiedertreffen, Fiete im Lazarett, Walter auf der Suche nach dem Grab seines gefallenen Vaters, mit dem er seinen Frieden schließen will. Ihre gemeinsame Zeit findet jedoch ein schreckliches Ende, das die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Kriegs eindrücklich illustriert.
So plötzlich, wie der Krieg für Walter begonnen hat, ist er auch wieder vorbei. Er schlägt sich erst ins Ruhrgebiet, wo man nach Bergleuten sucht, dann nach Norddeutschland durch, wo er seine Existenz als Melker wieder aufnehmen kann. Auch Elisabeth findet er wieder. Zu zweit wollen sie den Neuanfang im jungen und zerbrechlichen Frieden schaffen.
Rothmann zeichnet ganz dem poetischen Realismus verschrieben ein deutliches, ungeschöntes Bild einer Generation, die ihrer eigenen Existenz beraubt wurde. Sterben und der Kampf ums Überleben, Siechtum im Lazarett und eine Orgie im Angesicht des Untergangs – durch die Augen Walters, des Jungen aus Norddeutschland, bekommt der Krieg ein immer wieder neues, wahnsinniges Gesicht. Walters sachlicher, unschuldiger Blick ist es aber auch, der die drastischen Schilderungen für den Leser erträglich und verständlich machen. Nicht die Drastik der Bilder ist es, was an Rothmanns Schilderungen so unmittelbar wirkt, sondern vielmehr die Diskrepanz zwischen dem Grauen des Dargestellten und der sachlichen Poesie der Darstellung. Seine leisen Töne, die kraftvolle Bilder entstehen lassen, schaffen eine poetische Annäherung an das schwierige Thema und lassen eine eindringliche Botschaft für den Frieden entstehen.
Rothmann schlägt einen Bogen von den verlorenen Jungen der letzten Kriegstage über die heimgekehrten Väter bis zur traumatisierten Nachkriegsgeneration und zeigt, wie zart das Gebilde des Friedens im eigentlichen Sinne ist.

Katrin Scheiding
Förderverein Christine-Brückner-Bücherei Bad Arolsen
Ralf Rothmann: Im Frühling sterben
Roman, Suhrkamp 2015, 234 S., 19,95 €

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