Rezension – Die Kunst des Lobens

Erschienen im Hallo, am 25.07.2018. Autor: H. Schaaf

Shitstorm und Beleidigungen, Hass und Verunglimpfungen scheinen Konjunktur zu haben und nähren das Geschäftsmodell der digitalen Kommunikation. Kaum noch etwas scheint es wert zu sein, gelobt zu werden. Zieht der Shitstorm weiter, bleiben Angeschlagenes und Zerstörtes und nagen am Kitt des gesellschaftlichen Miteinanders. Ergibt sich dann doch eine Chance, eine Person oder ein Werk zu ehren, fällt auf, wie schwer diese Kunst für den Lobenden sein kann.

Dabei ist die Lobrede wohl eine der wenigen Gelegenheiten, wo man heute bis zum Ende zuhört! Bei Hochzeiten, Geburtstagen, Trauerfeiern, bei Verabschiedungen, Jubiläen, Einweihungen, Gedenk-, Weihnachts- oder Abiturfeiern kann der Zuhörer nicht weg oder „offensichtlich“ auf dem Handy spielen. Also haben die Sprache und das Lob ihre Chance. „Doch nur jene Lobreden taugen etwas, die unter den Anwesenden ein Glücksgefühl des Begreifens und des Einfühlens verbreiten. Ohne diesen ansteckenden Enthusiasmus wird jede Feierstunde zum Ritual, das nichts als absehbare und langweilige Konvention verströmt.“

Also will auch das Loben gelernt sein. Eine Lobrede, die nicht von glaubhafter eigener Begeisterung und Überzeugung durchwärmt ist“, so Camartin, „erkaltet rasch beimzuhörenden Publikum.“ „Erfrischende Gedankensprünge gehören dazu, Schärfe des Geistes weckt die Aufmerksamkeit“, schreibt Iso Camartin. „Der Redner muss das Gefühl verbreiten, dass er nicht brav einem Regelkatalog folge, sondern frei mit Fertigkeiten schalte und walte.“

Das Buch „Die Kunst des Lobens“ enthält eine Sammlung Camartins Lobreden sowie einen ermunternden einleitenden Essay über die Bedeutung und Gestaltung dieses Genres. Das Buch, wie üblich im Verlag der „Anderen Bibliothek“ bibliophil edel ausgestattet, ist passend zum Thema in ein rotes Fest-Ornat gekleidet, mit eingewobenem Goldglitzer. So wird beim zur Hand nehmen das Tastgefühl gestreichelt und beim Ansehen und vorsichtigem Aufschlagen das Auge belohnt. Belohnt werden wir dann mit einem einleitenden Essay über die Bedeutung und Gestaltung des Lobens.

Die in Camartins Buch dokumentierten Reden entstanden überwiegend zu Laudationen und Preisverleihungen. Unter den geehrten Lyrikern, Erzählern, Gelehrten, Essayisten und Künstlern finden sich Hilde Domin, Durs Grünbein, Adolf Muschg, Martin Walser, Urs Widmer, Octavio Paz, Peter von Matt, Roberto Calasso, Wolf Lepenies, Peter Wapnewski, Franz Schuh, Nike Wagner, Luc Bondy, Siegfried Unseld, Daniel Keel und viele andere – ein Geistesspektrum.

Diese lesen sich, manchmal leicht betulich, aber immer sympathisch. Im Moment des Vortrags werden sie ihre angemessene, anregende Wirkung voll entfaltet haben. Liest man sie, wird eingebunden und manchmal ein sogar wenig verzaubert. Und so wünscht man dem Lesenden, dass auch er etwas zu loben hat, denn  „Wer im Leben nichts zu loben hat, führt ein trauriges Dasein.“

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